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Die arabischen Brüder von Joseph Beuys

In: Neue Zürcher Zeitung, 19.September 2001

Vor weltverändernden Ereignissen bleiben die Künste stumm. Weder kündigen sie solche prophetisch an, noch vermögen sie eine angemessene Aufarbeitung zu leisten. Die Atombomben-Detonationen sind von der Malerei oder der Plastik so wenig bewältigt worden, wie der große Roman die Erwartung der Literaturkritik erfüllt hat, die deutsche Teilung und das Ende des Kalten Krieges zu verarbeiten. Nichts vermag das Entsetzen über die Verheerungen am 11. September eindringlicher zu evozieren, als die immer wieder gezeigten traumatisierenden TV-Aufnahmen der Angriffe von zivilen Flugzeugen auf das World Trace Center und des jähen Zusammenbruchs der Zwillingstürme.
Aber eine solche historische Katastrophe verändert umgekehrt den Blick auf Kunstwerke, wie z.B. auf Cosmos und Damian (1974), von Joseph Beuys, der dabei in drei Multiple-Varianten Postkarten des New Yorker World-Trade-Center bearbeitete.

Für die Kunst von Beuys war Heilung ein zentrales Anliegen. Die mit seinem Namen verbundene Ausweitung des Kunstbegriffes kulminierte in dem berühmten, wenn auch mißverständlichen Ausspruch „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Für ihn war das eigentliche Kapital die Kreativität. Jeder trägt gemäß seinen individuellen Leistungen zu einer Utopie der Gesellschaft als Sozialer Plastik bei. Dies setzte eine Reihe konzeptueller Veränderungen voraus. Dabei spielten Material- und Formverwandlungen eine besondere Rolle. Ein kalter Beton- oder Stahlkubus macht jede Transformation unmöglich und wird dadurch zum Ausdruck eines tödlichen Endzustandes. Dagegen sind der wärmend-isolierende Filz, das leitende Kupfer oder das bei Wärme flüssig werdende Fett unterschiedliche Materialien, die die Aggregatszustände der Kunst potentiell veranschaulichten, ohne im eigentlichen Sinn "Symbole" für bestimmte Inhalte zu sein. Das übliche Verständnis des Kapital-Begriffes hielt er für unkünstlerisch, weil das Geld ohne Arbeit Zinsen abwirft.


Beuys führte während seines ersten USA-Aufenthaltes im Schatten des New Yorker WTC seine Aktion Ich liebe Amerika und Amerika liebt mich (1974) mit einem Koyoten auf. Dabei erschien ihm die Zentrale des Welthandels als Paradebeispiel jenes Kapitals, das er mit Hilfe seines Kunstbegriffes verbessern wollte. Dafür setzte er sein vertrautes Repertoire ein. Der Künstler-Schamane verwandelte die Erscheinung der Zwillings-Wolkenkratzer in zwei Fett-Türme. In seiner plastischen Theorie wurde dabei das kristallin-kalte Endsystem des unmenschlichen Kapitalismus ersetzt und die tödliche Form in das Kapital der Kreativität sozialer Wärme transformiert. Zur eigentlichen Heilung reichte ihm das nicht. Deshalb ergänzte er sein Unternehmen durch eine Namenswahl. Vertikal schrieb er als Widmung die Namen der arabischen Zwillingsbrüder auf die beiden Türme. In amerikanischer Schreibweise wurde aus Kosmas das die Bedeutung der Globalisierung einschließende Cosmos. Eine besondere Pointe lag darin, dass die beiden Heiligen die „Geldlosen“ genannt wurden, weil sie für ihre Taten keinen Lohn verlangten. Da sie der Legende nach einem kranken Weißen das Bein eines Mohren transplantierten, wurden die Märtyrer, deren Fest im September gefeiert wird, zu Patronen der Ärzte und Apotheker.
Lange war die Therapie durch das Brüderpaar Kosmas und Damian nur noch die Erinnerung an eine künstlerische Illusion des vor fünfzehn Jahren verstorbenen Joseph Beuys. In der Schwarzweiß-Malerei fanatischer Fundamentalisten gibt es keine historische Entwicklung. Da Gott durch das Geld ersetzt worden sei, wurde die Kathedrale der westlichen Welt als Symbol der globalisierten Kommerzialisierung zum Ziel des Hasses und zerstört. Seit wenigen Tagen hat das Multiple von Beuys wieder eine beklemmende Aktualität.

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