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Ansichten vom Aufbau der Salzburger Universitätskirche
(In: Von Österreichischer Kunst. Ritter Verlag, Klagenfurt 1981, S.105-112)
(Abbildungen in Arbeit)



Der herausragenden Bedeutung der Salzburger Universitätskirche und ihrer einmaligen Erscheinung hat man manchmal mit ohnmächtigen Metaphern zu begegnen versucht: „Wann solche Bau-Art sollt ein Teutscher Greis erblicken, Er wußt nicht, wo er wär? er thät darob erschrikken", hieß es schon 1701, während der Bauzeit.(1) „Verweilt man nachts vor der Kollegienkirche, so kann der Eindruck entstehen, irgendein Urwelttier setze sich stampfend in Bewegung.“ (2)

Manche Architekturgeschichte erwähnt das Meisterwerk nicht einmal oder streift es nur nebenbei. Der oft erwähnte Grund dafür liegt in der Sonderstellung des Baues, der sich aus historischen Vorbildern nicht ableiten läßt, auch wenn es vor allem für die Entfaltung des Grundrisses mannigfache Anregungen aufzuzeigen gab. So ist das, was wir heute über die Kollegienkirche (3)wissen, mehr als sonst monographischer Natur, sodaß Querverbindungen, Analogien, Ableitungen hinter der Beschreibung des heutigen Baues und dessen sorgfältig ausgebreiteten Planungsphasen zurücktreten. Im systematischen Studium von Grundriß, Aufriß, Innenraum, Doppelturmfassade, Choranbau, Kuppel und städtebaulicher Anordnung ist eine besondere Eigenschaft untergegangen: der Aufbau.
Eine erste Annäherung mag die bildlich dokumentierte Rezeptionsgeschichte der Alten Ansichten erlauben. Die hier sichtbar werdenden Schwierigkeiten liegen vor allem in zwei Momenten: einerseits in der Beziehung von Fassade und Baukörper, andererseits in den Größenverhältnissen.

Johann Friedrich Probst (Fuhrmann, Taf. 28) (4) gibt die Fassade frontal wieder und zeigt den als Basilika interpretierten Baukörper aus der Perspektive seitlich herausgeklappt. Dieses Hilfsmittel wird immer wieder eingesetzt (vgl. Fuhrmann, T. 29, 41). Wenn Jakob Strucker Anfang des 19. Jahrhunderts ,Salzburg gegen Süden' (Fuhrmann, T. 64) skizziert, erscheint ihm die Kollegienkirche überhaupt als orientalischer Zentralbau. Diese Tendenz ist immer da bemerkbar, wo die Größenverhältnisse schwanken. So bei A. F. H. Naumann (Fuhrmann, T. 44), der den Teil zwischen Giebel und Kuppel auf ein Minimum reduziert und die Kuppel dadurch drückt, daß er Ochsenaugen anstelle der hohen Rundbogenfenster erfindet. Doch kann auch der entgegengesetzte Fall eintreten, daß die Baumassen so übertrieben werden, daß der sonst überlegene Dom dagegen zurückbleibt, wie bei Johann Jakob Strüdts Ansicht um 1807 (Fuhrmann, T. 62). Dabei mißversteht er zugleich die Fassade, indem er das Dach anstelle des Giebels nach vorne zieht. Umgekehrt läßt W. F. Schlotterbeck (um 1805) die Kollegienkirche im Vergleich zum Dom in der Dächerlandschaft versinken (Fuhrmann, T. 58, vgl. T. 92).


Dom und Fischer-Kirchen


Jakob Alt hat etwas später diesen Fehler korrigiert (Fuhrmann, T. 76). Aber von Südosten her wird der Unterschied zum Dom, dessen drei Chorkonchen in diese Richtung steil aufragen, nicht deutlich. Sogar die topographisch genaue Sicht Hubert Sattlers von Nordwesten, die das Herausragen des Baukörpers der Kollegienkirche wiedergibt, nimmt eine ähnliche Lösung für den Dom an (Fuhrmann,T.91). Aber dessen Mittelschiff erhebt sich nur wenig über die Pultdächer der Kapellen heraus und wird durch Ochsenaugen belichtet. Beim Dom ist die Marmorfassade unabhängig vor den Nagelfluh-Bau geblendet; die Dächer schneiden an der Rückseite willkürlich ein, die Chorlösung setzt einen neuen Akzent, auch wenn im unteren Teil die Fensterordnung weitergeführt wird.

Alle diese Bestimmungen treffen für die Kollegienkirche nicht zu. Sowohl das Verhältnis von Fassade zum Baukörper wie das von unten nach oben unterscheiden sich davon grundsätzlich. Während beim Dom der eigentliche Baukörper als Verbindung zwischen Fassade und Chor mit Kuppel fungiert, liegt bei der Kollegienkirche der Akzent nicht in deren Tiefenerstreckung, sondern in einer von der Polarität Fassade Chor gerahmten Höhendimension, die analog für den Innenraum immer betont worden ist. Über der Dachzone der Stadtlandschaft liegt, von einem Kranzgesims abgesetzt, ein eigener gegliederter Bau, gewissermaßen eine in die Ferne wirkende Kirche. Die historischen Vergleichsmöglichkeiten erweisen sich aus dieser Sicht nur als bedingt gültige Anrequngen. Die Idee eines AUFBAUES hat sich bei Fischer von Erlach selbst herausgebildet.

Die konkav einschwingende Dreifaltigkeitskirche bildet den Mittelrisalit einer Gesamtanlage, die sich in den Fassaden des Priesterhauses und Virgilanums nach den Seiten erstreckt. Dieser Eindruck entsteht durch die überraschende Wahl eines gemeinsamen Erdgeschosses, das in seiner durch gehenden Nutung als sockelartig zu verstehen ist. Wichtig daran ist, daß diese Gestaltung bei durchgehend gleichen Fensterrahmungen die um eine Achse hervorspringenden Turmbasen einschließen. Der auf dem Porträt des Erzbischofs Johann Ernst Graf Thun (Fuhrmann, T. 25) wiedergegebene erste Entwurf sieht eine diesen Eindruck verstärkende Rustizierung vor. Die wesentlich höhere Kuppel und die Turmhelme strecken die vertikale Ausdehnung und lassen den Eindruck einer aufgesetzten Fassade entstehen. Erst das Hauptgeschoß unterscheidet sich in der Ausbildung einer Kirchenfassade von den profanen Seiten. Die Pilaster in den Ecken werden ohne Rücksicht abgeschnitten - ein dem ,Sockel' entsprechender Gliederungsverlauf war hier nicht vorgesehen. Darüber, die gesamte Front überragend, finden sich die Turmabschlüsse und dahinter die Kuppel als im Grunde unabhängiges Motiv.

Auf dem Stich Erzbischof Graf Thuns mit seinen Stiftungen ist zu sehen, daß auch an der Johannesspitalskirche ursprünglich eine Kuppel geplant war. In der kurzen Spanne bis zur Einweihung hat sich ein entscheidender Wandel vollzogen. Fischer wählt das neue Motiv eines selbständigen AUFBAUES als auf Fernsicht bedachte, in sich verstehbare Kirche. Wie radikal dieser Gedanke war, wird wieder in Alten Ansichten an Mißverständnissen deutlich. Meist wird der AUFBAU als unabhängiger Kirchenbau hinter dem Spital aufgefaßt (Fuhrmann, T. 28, 41, 46). Wie ungewöhnlich dieser Versuch ist, geht aus den Reaktionen der Kunsthistoriker hervor. Dreger begründet das Zurückspringen des ,Oberteils' der Fassade durch eine Planungsänderung, als ob dieser Teil vor dem unteren gebaut worden wäre. Er übersieht, daß hier ein eigener Baukörper, außer dem Giebel und den Türmen, hinter einer Balustrade steht. Sedlmayr könnte die Fassade „im Werk Fischers leichter entbehren“ und spricht hier dem Meister die ,Gestaltungskraft' ab, ohne auch nur den AUFBAU einer Erwähnung wert zu finden. (6) Ebhardt spricht von einem ,zurücktretenden Aufbau', aber "zusammen mit den Türmen ... wirkt er wie eine aufgesetzte Attika, die in keiner sehr organischen Verbindung zu den unteren Teilen steht ..., so daß der alles in allem nicht sehr lebendige Organismus weniger durchkomponiert als vielmehr zusammengestückt scheint". (7) Qualität hat diese Kirche nur dann, wenn man nicht darangeht, den Bau als eine Fassade zu verstehen - nicht Fischer, sondern der Interpret „stückt ohne Gestaltungskraft zusammen“.

Im Gegensatz zur Dreifaltigkeitskirche entspricht nicht nur das erste Geschoß den seitlichen Trakten. In der Anlage ist die gesamte Fassadenhöhe wie ein Mittelrisalit durch eine Kolossalordnung zusammengefaßt. Diese zweigeschossige Fassade nimmt gewissermaßen die profane Basis für die darüberliegende Kirche ein.

Die Forschung hat auf die ähnliche Lösung der Fassade des Oratoriums Sanctae Crucis bei S. Giovanni in Laterano hingewiesen, was umso näher lag, als dort ebenfalls eine Johanneskirche zugleich dem Salvator geweiht war. Die beiden Türme aus dem 14. Jahrhundert erscheinen hinter der manieristischen Kolonnaden-Vorhalle. Doch setzt Fischer die Erinnerung plastisch durch die Errichtung eines AUFBAUES, der in Rom völlig fehlt, um. Auch auf der Rückseite im Nordwesten wird durch ein umlaufendes Kranzgesims die Allusion des AUFBAUES beibehalten.


Zur gleichen Zeit entstand die Kirche des Klosters der Ursulinen, deren auf eine andere städtebauliche Situation modifizierte Anlage von den gleichen Prinzipien getragen ist. Auch hier sitzt auf der immer wieder, zuletzt von Neuhardt (8) als ,palastartig' bezeichneten, jedenfalls profan wirkenden Kolossalordnung der Fassade, von einem Kranzgesims abgeboben, ein AUFBAU. Da die anschließenden Klosterbauten aber nicht wie in der Spitalsanlage in derselben Flucht liegen, verbinden die zurückversetzten Türme einerseits die Fassade der Kirche mit den mehrgeschossigen Klostertrakten, andererseits den Baukörper mit dem AUFBAU. Über dem Kranzgesims entspricht der untere Teil der Türme dem über den Dächern liegenden, von der Stadt (auch in alten Ansichten) als eigene Kirche sichtbaren Baukörper, während der obere Teil auf diesen Basen als die Türme des AUFBAUES aufzufassen ist.

Mag das wichtigste Motiv für Fischer auch die Durchlichtung des Innenraumes gewesen sein, so war es doch nicht zwingend, die AUFBAUTEN so prägnant als autonome Gebilde auszuarbeiten. Die Idee ist unabhängig von seinem sonstigen Werk entstanden.


Aufbauten im Frühwerk Fischers v. Erlach


Das genetisch aus Vorbildern nicht ableitbare Prinzip des AUFBAUES der Salzburger Kirchen Fischers wird durch einen Blick auf seine frühen Entwürfe erhellt. (9) Der zentrierte AUFBAU wird als eine Konstante im Frühwerk sichtbar: Am Entwurf für ein ,grosses Landgebäude' (,Bergschloss') haben „die beiden ovalen Stallgebäude ... ungegliederte Aufsätze, die sich mit den Bauten nicht verbinden. Die kleinen Aufbauten darüber wirken wie nachträglich hinzugefügt";(10) im ,Lustgebäude' der Historischen Architektur „ist von Engelhartstetten der Dachaufbau" beibehalten;(11) „ Dieser steht auf einem von rechteckigen Öffnungen durchbrochenen Sockel, also abgehoben von dem übrigen Gebäude"; „Der ganze Dachaufbau steht auf einem ... Sockel, beinahe so schwebend wie der Aufbau über der Triumphpforte der fremden Niederleger" ;(12) am ,Mailänder Lustgebäude' ist „ der Aufsatz aus einer Art Mezzanin - wie im Lustgebäude der H. A. - zu einem echten Stockwerk mit großen Bogenöffnungen - wie im Hauptstock darunter- geworden. Sein Mittelsaal umhüllt nicht mehr die Kuppel; nun ist der ganze Aufsatz ein rein ideales, hypertrales und durchsichtiges Gebilde geworden, das noch ein wenig lastend, ein wenig eingesunken und doch zauberhaft über der Mitte des Gebäudes steht .. . "; (13) „ über der Mitte ,des Augarten-Schlößchens' stand ... ein Dachaufbau mit Flügeln über querovalen Öffnungen".(14) Sedlmayr bezeichnet diese kontinuierliche Folge als die „ Linie: Engelhartstetten - Mailänder Lustgebäude - Lustgartengebäudeder H. A.", von der „das,Gartengebäude' (der H. A.) in eine andere Richtung" ausbiegt.(15) Bei diesem ,Gartengebäude' fehlt der Dachaufbau, weil der zentrale Teil selbst und nicht erste durch eine ,Krone' erhöht ist, womit er an die ,Lustgebäude' des Grafen Strattmann in Neuwaldegg und des Grafen Schlick (?) in der Josefstadt anknüpft.

Wie sehr Fischer dazu tendiert, die Aufbauten als etwas eigenes zu betrachten, zeigt sich an zwei Entwürfen für Gartenhäuser, wo sie nur mit einigen Linien angedeutet sind.(16) Das ,Herabschweben' wird schon früh anschaulich: „Sein erster großer Wurf ... der Ahnensaal des Geschlechts der Althan in Schloß Frain ..., der wie eine Fata Morgana ... herabgeschwebt zu sein scheint ...".(17) Schließlich läBt sich „die Krönung des Mittelteils durch einen durchsichtigen Aufsatz" (18)auch für Schloß Schönbrunn anführen.

Aufgrund der topographischen Situation Salzburgs und der jeweiligen Bauaufgabe war Fischer gezwungen, die Kirchen hochzuziehen, sollten sie sich in ihrer Umgebung behaupten. Diese Bedingung traf sich mit seinem, in zahlreichen Entwürfen für profane Gebäude geübten Prinzip des AUFBAUES, indem er die Kuppelvorstellung durch dieses ersetzte (Johannesspitals- und Ursulinenkirche) oder mit ihm verband (Kollegienkirche).


Begrenzte Auswirkungen der Kollegienkirche


Während sich die Dreifaltigkeits-, die Ursulinen- und die Johannesspitalskirche innerhalb von angrenzenden Bauten zu behaupten hatten, steht die Kollegienkirche nahezu frei. Sie entfaltet in den Umraum der z. T. engen Plätze und Straßen von innen heraus ihre kräftige Plastizität, indem die vertraute Kolossal-Pilaster-Ordnung sich herauswölbt. Der AUFBAU ist wieder zweigeteilt, wobei der Giebel durch mehrfache Schichtung von der Grundfläche über die Voluten bis zur Wappenkartusche das dabinterliegende Baugeschehen anspielt, wie der ,Oberbau des Kirchenkörpers' (19) ja auch, ohne Verbindung mit den Türmen, aufsitzend von der Fassade nach hinten führt. Wie bei der Johannesspitals- und der Ursulinenkirche ,steht' der AUFBAU ebenso bei der Kollegienkirche auf einem das Ganze umgürtenden, ausladenden Kranzgesims. Gerade die durch den dynamischen Charakter begründete Tatsache, daß es „unmöglich ist, von einer ,Fassade', einer ,Stirnseite' oder einer ,Front' zu sprechen ", (20) sollte die Auswirkungen auf die immer wieder genannten süddeutschen Benediktinerklöster Weingarten (1715), Ottobeuren (ab 1737, Abb. links) und Einsiedeln/Schweiz (1719) als lehrreiche Mißverständnisse klarstellen, die die einmalige Anlage der Kollegienkirche umso deutlicher macht. Die schwer begreifbare Architektur-Auffassung Fischers in Salzburg konnte nur buchstäblich an der Ober- bzw. Vorderfläche wirken.

Der entscheidende Unterschied zu den genannten Beispielen liegt in der Verlequng der Kolossalordnung in die Obergeschosse. Dadurch wird das Kranzgesims in die Dachzone über die drei Fassadengeschosse gehoben. Die Giebelfelder sind wieder traditionelle, flache Bekrönungen, die nur in seitlichen sphärischen Segmenten zurückschwingen. Eine Durchbrechung der Fassade im dritten Stock zwischen den Türmen und der gewölbten Mitte ist dadurch nicht mehr möglich. Die Fassaden liegen daher wie gewohnt als geschlossene Fronten vor den Baukörpern. Bezeichnend ist, daß ein Entwurf für Ottobeuren, der das Vorbild der Kollegienkirche getreuer übernommen hätte, nicht ausgeführt worden ist.

Die Baukörper der drei Klosterkirchen liegen unabhängig hinter den Fassaden und erlauben keine AUFBAU-Ordnung. Unterstrichen wird das durch die Verblockung der behelmten Türme, denen jede Gestaltung im Sinne Fischers mangelt.

Die „zahlreichen Krönungen der Türme, deren Sinn es ist, ,Bewegung nach allen Richtungen auszudrücken' (Alois Riegl) (21) sind bei der Kollegienkirche nicht nur gegen den Himmel durch die nach- oben schwingenden Bogenbalustraden offen, sondern verbinden die vier Seiten auch durch die in den Diagonalen angeordneten, auf Voluten stehenden Postamente mit den Skulpturen. Die auch auf dem Giebel befindlichen Steinkugeln unterstreichen die allseitige Ausrichtung. Das Motiv der stehenden Ochsenaugen, das es nur am AUFBAU - an der Fassade, an der Kuppel, am Chor und in erweiterter Form an den Seiten - gibt, bindet die auseinanderliegenden Komponenten assoziativ zusammen.

Eine analoge Funktion nimmt das Queroval in der Ursulinenkirche wahr, das jeweils im oberen Teil der Türme, der Fassade und an den Seiten erscheint. Die im Gegensatz zur Kollegienkirche nicht allseitig offene Ausrichtung der Bauanlage erfährt einen Akzent durch die Abdachung der Türme, die gegen die Schmalseiten der Fassade und des Chores als Dreiecksgiebel, dagegen in den Längsseiten als Segmentbögen erscheinen; die parallel dem Längsbau entsprechenden Turmseiten sind darüber hinaus vorgewölbt und auch in den unteren Geschossen durchlichtet. Die breiten Lyra-Fenster an allen Seiten öffnen den AUFBAU und fassen ihn zugleich zusammen. Eine derartige Differenzierung ist den süddeutschen Vergleichsbeispielen fremd, ja sie wirken dagegen plump und massiv.

Die von Sedlmayr angeführten Schwierigkeiten beim Betrachten der Schauseite der Karlskirche sind auch bei der Kollegienkirche zu beachten. „Ihr Sehen ist von der weithin wirkenden Tendenz des 19. Jahrhunderts erfaBt worden, alles - im räumlichen wie im geistigen Sinn - flacher zu sehen als die Meister des Barocks, flacher und stückhafter ... Wer im Sehen die ,Fassade' in die Fläche plättet, der kann nie zu einer vollen Anschauung des Werkes kommen ... Denn diese ,Schauseite' ist eben keine ,Fassade' in dem Sinne wie die vieler römischer Barockkirchen, die wirklich nicht mehr sind als ein architektonisches Relief .. " (22)

Anstelle der anschließenden profanen Trakte der anderen Salzburger Fischer-Kirchen tritt bei der Kollegienkirche eine äußere Enge, der gegenüber sich die Fassade plastisch behauptet. Die Kolossalordnung übernimmt dadurch eine ambivalente gelenkhafte Rolle. Sie ist zugleich Unterbau für das Oben wie eine Antwort auf den profanen Umraum. Diese Würdeform bildet nicht die Mitte einer Architekturflucht, sondern muß sich eigenständig durchsetzen, ohne genügend Distanz einer fernsichtigen Betrachtung vorzufinden. Gleichzeitig antwortet sie dem Chor, wodurch ein tragfähiges Gefüge entsteht, auf dem der zweigeschossige Giebelteil (mit einem Giebel im Giebel) sich ohne Behinderung durch die Türme nach den Seiten zu einer hohen Region einer ,Oberkirche' zusammenschließt. Das AUFBAU-Konzept ist in allen Planungsphasen - in den Anfängen sogar stärker - festzustellen. (23) Die Fassade bietet auch, allein schon durch die von vorne nicht sichtbare Kuppel, den Anlaß, den gesamten Bau aus anderen Perspektiven zu sehen. Aus der Fernsicht wäre eine Durchbrechung der über die Dächer der Stadt ragenden Kirche mit weiteren Ovalfenstern (24) einem Verzicht auf deren architektonische Glaubwürdigkeit gleichgekommen, so wünschenswert eine zusätzliche Belichtung der Gewölbezone im Inneren auch gewesen sein mag.

Synthese


Schon für den Ahnensaal von Schloß Frain ist bemerkt worden, er sei „bewußt mit der Landschaft entworfen worden." (25) Auch Fischers Entwürfe für Parktore und Vasen offenbarten „einen grundsätzlichen Aspekt seiner Einstellung zur Architektur, die Absicht, seine Bauten als in die Natur eingebettet aufzufassen." (26) Vom selben Willen, eine Transformation von Natur in Kunst zu bewirken, ist auch die ,Unterwerfung des Steines' (27) durch die aus den Wänden des Mönchsberges herausgebrochenen Zuschauergalerien der Sommerreitschule getragen. Grundsätzlich müßten Fischers Bauten im Kontext der Stadt und der Landschaft gesehen werden. „Alle seine Bauten wurden mit Bezug zu ihrer natürlichen und künstlichen Umgebung entworfen. Sie waren nicht als ihrer Umgebung untergeordnete, sondern als sich in sie dicht einfügend geplant, um dieser eine neue Erscheinung und Bedeutung zu geben. Fischer wollte, daß seine Kirchen und Paläste Natur intensivierten und perfektionierten, ein Vorhaben, das letztlich religiös war und aus seinem Glauben an Gottes universelle Ordnung kam." (28) Der Vorgängerbau der Ursulinenkirche war 1669 durch einen Felssturz zerstört worden. „ Noch zwei Jahre danach barg man Tote aus dem Häuser- und Felsenschutt. Die Tragik liegt auch darin, daß man die Felswand als Bestandteil der schützenden Bastionen angesehen hatte." (29)

Das ambivalente Bedeutungsspektrum des Felsens wird sich unter diesem Eindruck von der gerade für Salzburg seit jeher wichtigen Bedeutung eines Fundaments der Kirche zu der einer bedrohlichen Naturgewalt, die es zu bezwingen gilt, verschoben haben. Die Rustika, wie die der Dreifaltigkeitskirche, wurde im Gegensatz zu den Ordnungen darüber (opera di mano) traditionell als ,opera di natura' bezeichnet. Aus dieser Sicht erhebt sich die Ursulinenkirche gegen den Fels in die Höhe. Von der Stadt her schwebt ihr AUFBAU über den Dächern und erscheint vor dem felsigen Hinterprund als Kunst-Natur-Bild. Ähnliches gilt für die Kollegienkirche, die noch heute im Stadtbild gegen die Landschaft des Mönchsberges aufragt, und dies wurde, wie die Rottmayrsche Ansicht auf dem Altarblatt des hl. Karl Borromäus (30) bestätigt, auch im Barock so verstanden.
Der Dom hingegen war noch selbst die veranschaulichte Metamorphose des Steins, aus welchem er gebaut und ungeputzt sichtbar ist, was durch den Gegensatz zur Marmorfassade noch deutlicher wird.

Auch wenn die AUFBAUTEN als eine weitgehend selbständige gehobene Architektur aufgefaßt werden können, sind sie nicht ohne den eigentlichen Kirchenbau, dessen Gewölbezone sie jeweils ummanteln, denkbar. Dem sichtbaren Phänomen kommt keine getrennte Sphäre ikonologischer Bedeutung zu. Die städtebauliche Situation hat zu ihrer Entwicklung geführt wie seine in den besprochenen Entwürfen nachweisbare Anlage. Durch die AUFBAUTEN wirken die Kirchen als Fernbild.

Natur und Architektur verbinden sich in dieser für Fischer eigentümlichen Weise genauso wie Unten und Oben. Wie sehr diese Verbindung geglückt ist, zeigt sich nicht zuletzt darin, daß das polare Prinzip des AUFBAUES nie beschrieben worden ist, obwohl sich in ihm die seit jeher gerühmte plastische Kraft Fischers, die oben in alle Richtungen über die Sichtachsen hinausweist, am klarsten ausdrückt. (34) Die ,Synthese' als für den Barock zentrale Eigenschaft (32) zeigt sich auch in der möglichen analytischen Auseinandersetzung, ohne daß die ,vermählende Kraft' der künstlerischen Fügung dadurch geschwächt würde. Im Gegenteil: „Daß aus dieser Kombination von so Heterogenem nichts Gestückeltes entsteht, sondern ein Werk aus einem Guß, macht die Größe von Fischers erster Synthese großen Stils aus". (33) Das wird auch an vermeintlichen Schwächen (wie der Johannesspitalskirche) anschaulich.

Anmerkungen:
1 ) Salzburger Museumsblätter, 6. Jg., 1927, Nr. 6, Sp. 2
2) Harald Keller: Die Kunst des 18. Jahrhunderts. Propyläen Kunstgeschichte Bd. 10, Berlin 1971, S. 86
3) Die Bezeichnungen ,Kollegienkirche' und ,Universitätskirche'sind seit jeher unterschiedslos verwendet worden. In Kontrakten mit der Hofbaumeisterei ist von ,der neuen Collegikürchen in Frauengarthen' und der ,Universitetskhürchen' die Rede. Österreichische Kunsttopographie Bd. IX, 1912, S.237, 240
4) Franz Fuhrmann: Salzburg in alten Ansichten. Salzburg 3. Aufl. 1981
5) Moritz Dreger: Zu den Salzburger Kirchenbauten Fischers von Erlach. Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte Bd. Vl. (XX.),; 1929, S.326: „ Es ist sehr leicht möglich, daß erst die Verschiebung der Flügel (im Plane) das Zurücktreten des Oberteils der Kirchenfassade ergeben hat".
6) Hans Sedlmayr: Johann Bernhard Fischer von Erlach. Wien 2. Aufl. 1976, S.108
7) Manfred Ebhardt: Die Salzburger Barockkirchen im 17. Jahrhundert. Studien zur deutschen Kunstgeschichte Bd. 354, Baden-Baden 1975, S.126
8) Johannes Neuhardt: Aedes Sacra- Kunsthistorische und theologische Gedanken. Markuskirche Salzburg (Ursulinenkirche) Generalsanierung, Salzburg 1980, S.1
9) Die strenge Scheidung zwischen Profan- und Sakralbauten erscheint mir in unserem Zusammenhang nicht förderlich. Martin Stankowski: Die Kollegienkirche in Salzburg und ihre Voraussetzungen. Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte Bd. XXIX, 1976, S. 179: „Morphologische Erkenntnisse der Gleichzeitigkeit verwandter Bildungen im Sakral- und Profanbau können allenfalls Aufschlüsse über Schaffensphasen oder Datierungsmöglichkeiten erbringen, erlauben jedoch nicht, Vorbilder über die Grenzen der Gattungen zu suchen". Auch Lorenz scheut sich nicht in seinem differenzierten Überblick „Das ,Lustgartengebäude' Fischers von Erlach", Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte Band XXXII, 1979, S.59-76, eine „prinzipiell ähnliche Gestaltung" zwischen einem Lustgartengebäude-Entwurf und der Fassade der Kollegienkirche festzustellen.
10) Sedlmayr (zit. Anm. 6), S.52
11) Sedlmayr (zit. Anm. 6), S. 88
12) Sedlmayr (zit. Anm. 6), S. 93
13) Sedlmayr (zit. Anm. 6), S. 92. 14) Sedlmayr (zit. Anm. 6), S. 92
15) Sedlmayr (zit. Anm. 6), S. 95. Nach Hellmut Lorenz (zit. Anm. 9) steht die ,Mailänder Variante' am Anfang der Entwicklung.
16) Sedlmayr (zit. Anm. 6), Abb. 63, 65. Die Tendenz, Aufbauten in schwächerem Strich zu zeichnen, läBt sich auch bei Bernini boobachten, wie an seinem wegweisenden ersten Entwurf für die Ostfassade des Louvre (1664), nicht aber bei Borromini. Das verweist auf die spezifische Unterscheidung der Aufsätze, soll aber nicht den Einfluß Borrominis negieren. Dazu: Renate Wagner-Rieger: Borromini und Österreich. Studi sul Borromini, Atti del Convegno promosso dall'Accademia Nazionale di San Lucca, Vol. Il, Rom 1967, S.223 f.
17) Sedlmayr (zit. Anm. 6), S.9 f., vgl. S.49
18) Sedlmayr (zit. Anm. 6), S.96
19) Franz Fuhrmann, in: Reclams Kunstführer Österreich II, Stuttgart 4. Aufl, 1974, S.581
20) Hans Sedlmayr: Die Kollegienkirche in Salzburg. Christliche Kunststätten Österreichs Nr. 120, Salzburg 1980, S.11
21) Ebda.
22) Sedlmayr (zit. Anm. 6), S.175
23) In der Planungsphase 2 (s.: Hans Sedlmayr: Neue Ergebnisse zur Kollegienkirche. Jahrbuch der Universität Salzburg 1977-79, S.97-111 ) gleicht der Fassaden-AUFBAU noch dem der Johannesspitalskirche. In Phase 3 mit dem rechteckigen Vorbau tritt er mit den Türmen dahinter zurück. Erst in der Endphase verschmelzen durch die Wölbung der Fassade alle Geschosse zu einer Fläche.
24) Sedlmayr (zit. Anm. 23)
25) Hans Aurenhammer: J. B. Fischer von Erlach. London 1973, S.44
26) Aurenhammer (zit. Anm. 25), S.41
27) Ulrich Nefzger: Salzburg und seine Brunnen. Salzburg-Wien 1980, S.20
28) Aurenhammer (zit. Anm. 25), S.165
29) Nefzger (zit. Anm. 27), S.152
30) Erich Hubala: Johann Michael Rottmayr. Wien - München 1981, Abb. 307
31) Wurzeln der ,Aufbauten', ,Oberstöcke' oder ,belvedereartigen Aufsätze' bei Schloßbauten verweisen in unterschiedliche Kunstlandschaften. Dazu: Erich Hubala: Henrico Zuccallis SchloBbau in Schleißheim, Planung und Baugeschichte 170~1740. Münchener Jahrbuch für Kunstgeschichte 1966, Anm. 18. Die historischen Zusammenhänge auch mit Vorformen kirchlicher ,Aufbauten' in Böhmen (z. B. Wallfahrtskirche Unserer lieben Frau, 1617-1623, in Altbunzlau) wären eigens zu untersuchen.
32) Sedlmayr (zit. Anm. 6), S.219-223
33) Sedlmayr (zit. Anm. 6), S.221

 

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