Ferdinand Georg Waldmüller - Revolutionär des Biedermeier
(In: Kunstpresse, Hg. Kunstforum Länderbank, Wien, Nr. 5, Oktober 1990, S.26-31)
(Abbildungen in Arbeit)


NATUR - GESCHICHTE


Ferdinand Gerorg Waldmüller war ein pedantischer Kleinbürger und Revolutionär, ein (wie er selbst klagte) erinnerungsschwacher Beobachter und Pionier der Naturwahrheit, ein ehrgeiziger Beamter und mitleidiger Chronist. Er nörgelte kompromißlos über Mißstände, aber seinem Blick erschlossen sich zugleich neue Visionen, für die seine Zeit kaum Augen hatte und die nach wie vor das Rätsel des Selbstverständlichen bewahren. In allem erscheint er als Gegensatz zum brillanten Stern der zweiten Jahrhunderthälfte, dem „seine" Epoche betörenden, historistischen Schaumschläger Hans Makart.

Seine Zwangspensionierung als Kustos der Gemäldegalerie der k. k. Akademie der bildenden Künste bewirkte er weniger durch immer vehementer vorgetragene Verbesserungsvorschläge, was den Unterricht anlangte - solche kennen wir auch von Johann Peter Krafft. Waldmüller ging aber in seinen höhnischen Folgerungen so weit, die seiner Ansicht nach (nämlich im Vergleich zur vorbildhaften „Natur") sinnlose Sammlung sei am besten zu verschenken. Die entschwindende Erinnerung historischer Vorbilder, die er wie jeder andere kopierte - immerhin noch bis in die vierziger Jahre -, schuf erst jene Nähe zur Wirklichkeit, die er gegen allen Eklektizismus, wie er dem idealisierenden Komponieren eigentümlich war, zu porträtieren suchte.

„Pedantisch" war er in seiner Malweise. Ohne Vorzeichnung arbeitete er die einzelnen Partien (z. B. Hand, Ohr) gesondert aus. Wie kein anderer Künstler veranschaulichte er mit den glatten, diese parzellenartige Technik verleugnenden Oberflächen auch thematisch die äußerlich statische gute alte Zeit, die innerlich von Widersprüchen geprägte Weltsicht des Biedermeier.

Aber „revolutionär"? Ja, das war der Wahrheits-Fanatiker gegen alle Hierarchien und Traditionen. Sicher war er es nicht im Sinne des französischen Realismus - Gustave Courbet kannte er wohl gar nicht. Immerhin gibt es zwischen den beiden ein gemeinsames Band, den Begriff der Familie, den Courbet ins Zentrurn seines monumentalen Programm-Gemäldes Das Atelier des Malers (1855) setzte (1), und der für Waldmüller in seiner ersten großen Synthese, dem Bild der Familie des Notars Eltz, zur menschlichen Analogie der Natur-Wahrheit wurde.

Es macht die Meisterschaft seines Naturalismus aus, daß er die zwischen den Gattungen, dem Menschen und der Natur, ja zwischen den verschiedenen Akteuren in einern Handlungszusammenhang liegenden Bruchlinien zu eliminieren wußte. Nur einem geduldigen Betrachter zeigen sie sich.



Das Bildnis des Notars Dr. Josef August Eltz mit seiner Gattin Caroline und seinen acht Kindern in Ischl schließt nicht nur die zehnköpfige Familie auf einer Vordergrundbühne ein, hinter der eine Hecke den Ort verbirgt, sondern es reicht über die Hausberge hinauf bis in die Gletscher-Zone des fernen Dachstein. Das Bild zeigt eine dem Ideal der Übersichtlichkeit gehorchende Welt und ein Interesse für Substanzverschiedenheiten von der kleinsten Pflanze im Vordergrund bis zur Wolkenformation über dem Horizont, wie sie Carl Gustav Carus im neunten Brief über die Landschaftsmalerei erwähnt. Daraus ergab sich zugleich eine die Romantik hinter sich lassende Distanzlosigkeit in räumlicher Hinsicht.
Das Geschehen spiegelt Ordnung wider; der 47jährige Vater kommt von außen, die Mutter ruht im Kreise ihrer Kinder auf der Bank. Er ist würdevoll gekleidet, hat den Wanderstab in der Rechten, den mit einem Tuch geschmückten Hut abgenommen, so daß sein weichlich-zufriedenes Gesicht voll zur Geltung kommt. Doch die angespielte Rückkehr findet wegen der mannigfaltigen „Haltungen" gar nicht statt. Komplizierte Querverweise konstruieren ein Beziehungsgeflecht innerhalb einer festgesetzten Ordnung. Während die Köpfe der männlichen Mitglieder hieratisch und die Hände additiv angeordnet sind, kreisen die Hände der Mutter und Töchter in sich oder um das Kleinkind, denn darin erschöpft sich die Rolle der Frau.

Diese herausgeputzte Famile aus der Großstadt präsentiert sich in einem „hortus conclusus" auf dem Lande, vor den Kulissen der mächtigen Natur. Kunstvoll sind die Frisuren der Damen, die nach Altersstufen variierten Ohrgehänge über den spezifischen Dekolletés; von dem von einer grünen Masche geschlossenen Spitzenkragen der Mutter zur runden Schulter der Ältesten im heiratsfähigen Alter, deren gebauschter Ärmel über die Kurve des Rockes weit zum Bildrand ausschwingt. Wie ein Echo „erklingen" die nach unten kleiner werdenden Schultern der Schwestern, alle in hellen Farben, nur von den Schürzen in verschieden tiefem Kolorit begleitet. Der beige Rücken des gelagerten Sohnes schützt die Pyramide duftig-knisternder Stofflichkeit, in deren Zentrum nur das Kleinkind es wagen kann, seine Aufimerksamkeit nicht dem Vater zu schenken.


FIGUREN UND BERGE


Die Familie befindet sich im Park oberhalb ihres in diesen Jahren entstehenden Sommerhauses (der späteren „Kaiservilla"). Waldmüller schuf ein Abbild des irdischen Paradieses. Die Harmonie der Geschlechter in einer vielköpfigen Familie im Einklang mit einer majestätischen Natur bildet das inszenierte Glück auf einer Bühne, die sich symbolisch für das Selbstverständnis im Wiener Vormärz - rechts unten mit dem von einem Strohhut überdeckten Spielzeug mit Kasperl und Käfig wiederholt.

Das Bild ist ambivalent. Übersichtlich legt es alle Beziehungen offen, aber der Ort ist verborgen, es schwelgt in der Präsentation natürlich-haptisch erfaßbarer Stofflichkeiten, doch es versammelt an verschiedenen Orten wachsende Pflanzen, es wirkt in der Handlung auf einen bestimmten Augenblick hin konzipiert und doch bewegungslos. Vor allem wird nicht verraten, daß der Naturausschnitt durchkomponiert ist. Das Gletscher-Massiv sieht man nicht von diesem Niveau vor Ischls Dachlandschaft. Es gibt zwei (!) Perspektiven: der Fernblick ist nur von einem erhöhten Standort weiter oben möglich, während der bürgerliche Bereich sich von Angesicht zu Angesicht erschließt. Die Charakterisierung der Berge im Hintergrund kann über die Feststellung der genauen Abbildung hinausgehen.


Links erhebt sich der Gipfel - er ist an sich nicht so hoch wie das schroffe Gebirge im Hintergrund, aber das ist so fern, daß es weniger Platz beansprucht. Der abgesetzten Berg-Physiognomie wird sich links eine weitere anschließen. Rechts dagegen steigt der Hang sanft und stetig ohne Unterbrechung an, als ob es in ewigem Gesetz immer weiter bergauf ginge. Unmittelbar danach (außerhalb des Bildes) bricht der Kogel steil ab, was nicht zum weiblichen Pol des Vordergrundes passen würde. Nicht daß Menschen-Gruppe und Berg-Panorama verfälscht wären, aber sie sind so weit einander angenähert, wie es das Postulat der Wahrhaftigkeit erlaubt.

Man sieht, wie man sich zwischen-menschlichen Beziehungen anpaßt und in eine natürliche Umgebung einfügt, um sich der Utopie des irdischen Paradieses anzunähern. Waldmüllers Weg dorthin war mühsam. Was an dem Familienbild des Notars Eltz so unveränderlich wirkt, ist eine vorläufige Summe. Die Komposition dient einem moralischen Wert, der Schönheit einer intakten Familie, die es für Waldmüller, der sich von seiner ersten Frau zweimal scheiden ließ, privat nicht gab.


DIE ZWEI „NATUREN"


In der Beschreibung eines solchen Bildes gerät man unwillkürlich zu Metaphern einer Weltsicht, in der nichts in Frage zu stellen ist. Wem die in der familiären Ordnung aufgehobene menschliche Vernunft und die Schönheit einer majestätischen Natur als Gleichgewicht zeitloser Werte erscheinen, der formuliert bereits die allen Veränderungen trotzende Politik des Fürsten Metternich. Nach diesem steht nämlich dem Menschen die Veränderung der gottgewollten Ordnung nicht zu. Nur die Natur, nicht der Mensch, könne Neues schaffen. Auch die Geschichte sei Ausdruck der Natur. (2) Als Reaktion darauf fügte man sich in das vermeintlich unabwendbare Schicksal, wandte sich vom öffentlichen Bereich ab und kultivierte die Privatsphäre der Familie und Häuslichkeit.

Hierin wird das Dilemma einer begrifflichen Analogie sichtbar, der die künstlerische oder politische Ideologie entsprach. Waldmüller entdeckte für sich die Macht und Gesetzmäßigkeit der Natur als Vorbild für die Kunst, so wie Metternich die Natur als einzige normative Kraft jeder Erneuerung jenseits der Vernunft des Menschen akzeptierte. Aber die Natur des Künstlers gerät durch die Ablehnung von Vorbildern in Opposition zur Tradition, der Natur im politischen Sinn. Jemand, der an einer Verschmelzung der beiden Perspektiven (der Natur und des Menschen) arbeitet, dem jede Entfernung gleich bedeutend erscheint, muß mit den Garanten der alten Ordnung (künstlerischen und politischen) in Konflikt geraten.

Für einen gegen die Geschichte antretenden Kämpfer hatten die Kunstgattungen wenig Bedeutung. Sie erschienen Waldmüller nur als Vorwand zur Sicherung unverdienter Privilegien der Kollegen, die es ihrerseits mit Unterstützung des Kunsthistorikers Rudolf Eitelberger verstanden, ihm seine mangelnde (Aus-)Bildung vorzuwerfen. Doch was und wem sollte es nützen, das Historienbild höher als die Landschaft einzustufen, wenn der Historienmaler dann keine Landschaft porträtieren könnte? Das Argument wird erst am Ende des Jahrhunderts, wenn die Gattungen tatsächlich »demokratisiert" werden, an Wert gewinnen.

Johann Peter Krafft, der einzige biedermeierliche Historienmaler von Rang, konnte keine Landschaften malen; Waldmüller dagegen näherte sich derAufgabe des Historienbildes zaghaft. Nur im Verzicht auf jegliche Tradition - auch der religiösen, an deren Stelle er eine genrehafte Frömmigkeit setzte - oder mythologische Ikonographie, von der er fast ganz absah, gelang es, der „reinen" Natur zu begegnen. Der Tabakpfeifenhändler (Abb. links, 1824) erinnert noch an einen alttestamentarischen Propheten aus einem holländischen Werk des 17. Jahrhunderts. Die Orientierung an der Vergangenheit lenkt die Neugier des Betrachters von der Wirklichkeit ab.


NUANCEN DES „REIZENDEN”


Die biedermeierliche Genre-Kunst beschied sich mit dem Gegenwärtig-Schlichten. Das Programm einer von jeder persönlichen Regung freien Ästhetik stammt vom Biedermeier-Philosophen - und daher von seiner Zeit typischerweise übersehenen - Arthur Schopenhauer (3). Zwar erwartet der Betrachter nach wie vor anekdotische Momente, wie das beliebte Brieflesen im Hintergrund eines Stillebens. Doch nur ein reines Frucht- oder Blumenarrangement ist auf sich selbst »reduziert", wie man heute meint.

„Auf dem Stilleben ist gemaltes Obst ... noch zulässig, denn als weitere Entwicklung der Blume durch Form und Farbe bietet es sich dar als ein schönes Naturprodukt, und man ist nicht geradezu genötigt an seine Eßbarkeit zu denken: aber dabei bleibt es leider nicht: oft finden wir, mit täuschender Natürlichkeit gemalt, aufgetischte und zubereitete Speisen, Austern mit aufgeschnittenen Citronen, Heeringe, Seekrebse, Butterbrod, ein Glas Bier dabei, ein Glas Wein u.s.w. - das ist ganz verwerflich." Neben dieser von Schopenhauer abgelehnten ersten Form des „Reizenden”, erwähnt er zwei weitere: Die Nacktheit als das die Lüsternheit Erregende - Waldmüller hat nur zwei mehrfigurige Aktbilder geschaffen -, und als „negativ Reizendes" das Ekelhafte. Er entwirft weniger eine Biedermeier-Ikonographie als eine Rezeptions-Ästhetik. Wenn es gelänge, die Dinge für sich zu sehen, ohne sich selbst einzubringen, sei die „Welt als Vorstellung” übrig geblieben, die „Welt als Wille" verschwunden. Das „reine Subjekt der Erkenntnis" habe die ideale Kontemplation im Kunstgenuß erlangt. Für Schopenhauer besteht die ästhetische Wirkung unbedeutender Gegenstände darin, daß sie den Betrachter von seiner Welt und seinen momentanen Vorstellungen ablenken, ihn von seinen Regungen und Wünschen reinigen und zur Erkenntnis führen. Dabei seien alle individuellen Unterschiede gänzlich aufgehoben: „Es ist einerlei welchem Individuum das schauende Auge, das rein erkennende Bewustseyn angehört, ob einem mächtigen Könige oder einem gepeinigten Bettler."

Bei Schopenhauer findet sich auch eine Erklärung für Waldmüllers Ablehnung der Vergangenheit. Paradoxerweise verkennen ihn seine Verehrer gerade dann,wenn sie Schopenhauer auf den Archivar und Zeugen der vermutlich guten alten Zeit reduzieren. Die „Erinnerung an vergangene Zeiten und entfernte Orte (läßt) uns diese allemal in einem so sehr verschönerten Licht erblicken . . . dies geschieht durch eine Selbsttäuschung; denn als jenes jetzt Ferne einmal Gegenwärtig war, befriedigte es uns auch nicht mehr als das jetzt Nahe und Gegenwärtige . . . Daher also kommt es, daß die Erinnerung an Scenen der Vergangenheit und Entfernung oft plötzlich an uns vorüberzieht, wie ein verlornes Paradies..."

Das akzentuiert auch den missionarischen Eifer der Kunst Waldmüllers, der sich privat kämpferisch und streitsüchtig gab, doch als Maler auf seinen „Willen” zugunsten der „Erkenntnis” oder „Vorstellung” verzichtete. In logischer Konsequenz führt die Forderung nach Verzicht auf die Emotionen anregenden Gestaltungen zu einer die Genre-Malerei abwürgenden „Aktionshemmung” (M. Krapf). Nicht nur die Geschichte, auch die Geschichten erläutern keine Handlungen, sondern fügen typische Situationen zusammen.


INNENRAUM- UND FREILICHT


Lange hat Waldmüller nach einer Verschmelzung von Porträt (jenseits von Staffage-Figuren) und Landschaft gesucht. In seinem fanatischen Detailrealismus waren ihm Raum- und Luft-Perspektive hinderlich gewesen. Die zwei Schichten von vorderer Handlungsbühne und Architektur- oder Naturfolie werden in den meisten Bildern von einer für das Biedermeier auch andernorts genützten, nicht durch natürliches Licht erklärbaren Beleuchtungs-Modellierung durchbrochen.

Solange diese Lichtinseln ohne Brüche und Kontraste eingebunden sind, bleibt die Dichotomie von Hell und Dunkel sowie analog von Innen und Außen bestehen. Erst der alte Waldmüller scheut sich nicht, das Freilicht jäh auf ein aus dem Fenster blickendes Gesicht aufprallen zu lassen. Der das Spätwerk kennzeichnende fleckenhafte Eindruck hat auch im übertragenen Sinn zu einer Annahme der oft harten Schattensei-ten des Lebens geführt. Der Wiedereinsatz von mehr oder weniger betonter Raumkonstruktion, wie in Die Aufnahme des Binderlehrlings oder Die Klostersuppe (1858, Abb. unten) mag ihm eine „Perspektive" geboten haben.

In den späten Jahren seiner Meisterschaft nehmen zwei Themen die Aufmerksamkeit besonders gefangen: das von Liebe zu den Kindern geprägte, zahllos wiederholte Mutterglück und Variationen der Liebesleute. Die Mannigfaltigkeit körpersprachlicher Zuneigungen evoziert das herzergreifende Spektrum einer utopischen Harmonie. Nicht nur das spannungsreichste Meisterbild des alten Künstlers Belauschte Liebesleute (1858, Sammlung Schäfer) mit der im dunklen Schatten der Tür horchenden Alten, und dem nicht ihr, sondern dem Betrachter sichtbaren Glück der im prallen Sonnenlicht einander Küssenden, überwindet die Scheu vor dem Intimen.

Die Thematik der Zuwendungen in Bildern wie Die Ermahnung (1846) über Die Erwartete (1860) bis zur Begegnung im Walde (1863) und ähnlichen Werken, deren erotische Nuancen kaum mehr verständlich sind (4), verläuft die von Schopenhauer geforderte Gelassenheit reiner Erkenntnis und damit das Biedermeier. Die malerische Erfüllung des Spätwerks erfolgt in der Schilderung von Bauernkindern im Wald, wie den Veilchenpflückerinnen. Hier schwelgt der alte Waldmüller in jener bruchlosen Einheit von Natur und Mensch, in der dem vergessenen Künstler keine Hoffnungen mehr einen besseren gesellschaftlichen Zustand vorgaukeln.


Anmerkungen:
1) O. Bätschmann: Entfernung der Natur - Landschaftsmalerei 1750-1920, Köln 1989, S.72 f.
2) G. Düriegl: Metternich. In: Bürgersinn und Aufbegehren, Katalog,Wien 1988, S.34 ff.
3) Mit Recht verweist K. A. Schröder im Katalog der Wiener Ausstellung (1990) zur Waldmüller-Ausstellung auf ihn. Die Zitate finden sich in: Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Drittes Buch. Zweite Betrachtung §.40
4) Eine Ahnung davon vermitteln die in diesen Jahren geschriebenen Nachkommenschaften von Adalbert Stifter.

 

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